Wo selbst der Bürgermeister um Spenden bittet
„KiBa-Kirche des Monats Januar 2024“ in Bad Tennstedt
Die Sehnsucht nach Wundern und leichten Lösungen ist eine urmenschliche. Sie überkommt uns aktuell immer wieder, und auch Menschen in früheren Zeiten waren dafür empfänglich. Oft gibt es daher bis heute Geschichten, die von Wundern und ihren Tätern berichten – jeder und jede kennt einige davon. Ein vergleichsweise übersichtlich-praktisches Problem und dessen spontane Lösung sollen sich einst im 8. Jahrhundert in Thüringen zugetragen haben: In einer Kirche, für die ein gewisser Wigbertus zuständig war, ging der Messwein aus. Der Missionar soll den Saft einer frisch gepflückten Traube mit den bloßen Händen in den Messkelch gepresst, und so augenblicklich fertig gegorenen Wein hergestellt haben. Für diese und alle seine folgenden Taten als Missionar wurde Wigbertus später heiliggesprochen und zum Schutzpatron einiger Kirchen und Städte in Thüringen erkoren.
Eine dieser Kirchen befindet sich in Bad Tennstedt. Die dreischiffige Basilika auf dem Schulberg im Südwesten der Stadt trägt heute nicht mehr den Namen von St. Wigbertus, sie gehört der evangelischen Kirchengemeinde Bad Tennstedt und heißt Trinitatiskirche. Wunder und leichte Lösungen aber wären sicher noch immer willkommen, zum Beispiel, weil das Gebäude eine umfassende Sanierung benötigt. Diese vollzieht sich allerdings ordnungsgemäß in irdischem Tempo Schritt für Schritt: Nachdem in den vergangenen Jahren die Türme und der Chor gesichert wurden, stehen jetzt die Chorfenster auf der Pflichtenliste.
Beinahe wäre es gelungen, das Ostfenster noch rechtzeitig zum Weihnachtsgottesdienst fertig zu stellen; aber dann, berichtet Pfarrerin Linn Pietsch, „spielte die Witterung nicht mit“. Trotzdem sei die Gemeinde „sehr froh“, versichert die Theologin, dass das Fenster in wenigen Tagen fertig ist. „Wir haben schon sehr lange darauf gewartet.“
St. Trinitatiskirche Bad Tennstedt
St. Trinitatiskirche Bad Tennstedt
St. Trinitatiskirche Bad Tennstedt
St. Trinitatiskirche Bad Tennstedt
St. Trinitatiskirche Bad Tennstedt
St. Trinitatiskirche Bad Tennstedt
St. Trinitatiskirche Bad Tennstedt
Viele Jahrhunderte schon gehört das Gotteshaus zu Bad Tennstedt. Seine Anfänge sind nicht belegt; der Chor stammt aus dem Jahr 1418, der Nordturm beherbergt Reste eines romanischen Vorgängerbaus. Während dieser Turm mit einer steinernen Treppenlaube und einem Dach mit Zwiebelhaube die repräsentative Seite der Kirche darstellt, bleibt der stämmigere Südturm zwar im Hintergrund. Gemeinsam formen die beiden Chorflankentürme indes das charakteristische Erscheinungsbild der Trinitatiskirche, das stadtbildprägend ist. „Wenn man nach Bad Tennstedt hineinfährt, erkennt man sofort dieses Wahrzeichen“, sagt Linn Pietsch.
Das Innenleben der Stadtkirche stammt im Wesentlichen aus dem 17. Jahrhundert: Die dreiseitige Empore wurde 1657 eingebaut, der Säulenaltar 1680. Die mit Darstellungen von Jesus Christus und den zwölf Aposteln bemalte Kanzel datiert auf das Jahr 1659. Etwas älter ist der mit Putten und Masken in Weiß und Gold reich verzierte Taufstein, der 1636 gefertigt wurde. Auch historisch bemerkenswert ist ein Kruzifix von 1480/90, an dem der Gekreuzigte mit einer Dornenkrone aus Hanf und echtem Haar zu sehen ist.
Adventskonzert in St. Trinitatis Bad Tennstedt
Adventskonzert in St. Trinitatis Bad Tennstedt
Adventskonzert in St. Trinitatis Bad Tennstedt
Pfarrerin Pietsch, die gleich neben der Stadtkirche wohnt, ist insbesondere von der Größe des Bauwerks beeindruckt. 400 Menschen haben darin Platz, die Akustik ist außergewöhnlich. „Gregorianische Gesänge klingen hier besonders weit.“ Dem besonderen Charakter der Trinitatiskirche ist es zu verdanken, dass sich auch Menschen, die nicht oder nicht mehr der Kirche angehören, mit Spenden an den Kosten der derzeitigen Sanierung beteiligen. Und der Förderverein, der die Sanierung der Kirche unterstützt, ist möglicherweise einzigartig in Deutschland: In ihm engagieren sich sowohl evangelische wie auch katholische Christen. Wie wichtig das Wahrzeichen von Bad Tennstedt auch der politischen Gemeinde ist, zeigte sich nicht zuletzt am Einsatz des Bürgermeisters höchstpersönlich. Er hatte die Spendensammlung für das Ostfenster unterstützt, die Stadt ein eigenes Spendenkonto eingerichtet. Auch der Erlös des großen Konzerts am dritten Advent, bei dem traditionell alle drei Chöre der Stadt zusammenwirken, kam dem Gotteshaus zugute. Insgesamt wird die Renovierung 1,8 Millionen Euro kosten. Die Stiftung KiBa fördert die für 2024 vorgesehene Instandsetzung von vier weiteren Chorfenstern ihrer „Kirche des Monats Januar 2024“ mit 10.000 Euro.
Zunächst aber soll ein Bauzaun verschwinden. Der Zaun schützt eine Gruppe von Figuren, Jesus und seine Jünger, die am Ölberg lagern, berichtet die Pfarrerin. Der Schutz soll bleiben, der Zaun aber ein „professioneller“ werden. Zum Glück ist auch dies von Menschenhand machbar und wird ohne heilige Hilfe gelingen.