Die Bartning­Notkirche St. Markus in Hamburg­Hoheluft

Die Baukasten­-Kirche

Sie ist fast 70 Jahre alt, aber noch gut in Form: Die Notkirche von Otto Bartning in Hamburg-Hoheluft hat Atmosphäre und gibt der lebendigen Gemeinde St. Markus ein Zuhause.

Hamburg 1945: Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, viele Hamburger hungern, mehr als die Hälfte aller Wohnungen ist zerstört, verkohlte Mauerreste überall, hier und da ragen noch Kirchtürme zwischen den Trümmern auf. Von der einst prächtigen neugotischen Kirche St. Markus in Hoheluft steht nur noch ein Teil des Turmes, dazu der Chor und Reste der Seitenwände. Doch es gibt Hoffnung: In Amerika beschließt der Lutherische Weltbund ein Notkirchenprogramm für Deutschland. Der bekannte Kirchenbaumeister Otto Bartning wird beauftragt, den Prototyp einer Kirche zu entwerfen, die günstig und von Laien aufzubauen ist. Es wird eine Art Baukastensatz mit einfachsten Mitteln: Er besteht aus mehreren Holzpfeilern pro Seite und den Holzbindern, die sich abschrägen und die Dachlatten tragen. Sie werden in der Schweiz vorgefertigt und vor Ort aufgerichtet. Um die Räume zwischen den Pfeilern zu mauern, gibt es genügend Material: Trümmersteine, die zuhauf herumliegen. Die geniale Konstruktion bekommt den Namen "Bartning-­Notkirche".

Die Bartning-Notkirchen

In ganz Deutschland sind die Bartning-Notkirchen noch zu finden. Der Kirchenarchitekt Otto Bartning (1883-1959) entwickelte dazu ein Baukastensystem aus Holz für drei verschiedene Kirchentypen. Von 1948 an entstanden 44 Notkirchen, 42 von ihnen sind heute noch erhalten. Mit einer Welterbe-Initiative will der Verein "Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau" (OBAK) noch in diesem Jahr beantragen, die Notkirchen als Unesco- Weltkulturerbe anzuerkennen. Als besonders schön gelten die Friedenskirche in Dresden-Löbtau, die Matthäuskirche in Darmstadt und die Andreaskirche in Bremen.

www.otto-bartning.de

Auch die evangelische Kirchengemeinde St. Markus erhält einen solchen Notkirchenbausatz. Geleitet wird der Aufbau vom Architekten Gerhard Langmaack, der auch den Wiederaufbau des Hamburger Wahrzeichens, der Hauptkirche St. Michaelis, organisiert. Hamburg 2017: Wenn Pastor Michael Dülge Besucher durch St. Markus führt, ist er selbst immer wieder beeindruckt: "Diese Kirche hat ein menschliches Maß." Sogar beim Putzen mache es sich bemerkbar. "Ich kann mit dem Staubwedel am Besenstiel hier saubermachen", sagt der 62­Jährige mit dem grauen Haar und zwinkert verschmitzt, wie er es oft tut. Er ist mittlerweile zu einem Bauexperten wider Willen geworden. Erst vor zwei Jahren ist der Neubau des Gemeindehauses fertig geworden, jetzt ist die Kirche von außen zum Teil eingerüstet. Feuchtigkeitsschäden und bröckelnde Fugen sind zu beseitigen. Die Notkirchenkonstruktion jedoch ist immer noch tipptopp in Ordnung. Dülge klopft an einen der Pfeiler. "Hören Sie? Es ist hohl. Die Kirche ist nur mit dem Nötigsten gebaut, doch das steht noch mindestens 100 Jahre."

„Das Zelt als Motiv der Wüstenwanderung soll sich in dem Notkirchenbau widerspiegeln und uns so daran erinnern, dass wir nur als Gast auf dieser Erde unterwegs sind.“

Pastor Michael Dülge, Hamburg

Die Holzbinder haben die Anmutung von Zeltstangen und die spitz zulaufende Decke erinnert an ein Zeltdach. Bewusst habe Bartning diese Form konzipiert, erklärt Michael Dülge: "Das Zelt als Motiv der Wüstenwanderung soll sich in dem Notkirchenbau widerspiegeln und uns so daran erinnern, dass wir nur als Gast auf dieser Erde unterwegs sind. Es ist eine klare Gegenposition Bartnings zu den großen Kathedralenbauten der wilhelminischen Zeit."

Das dunkle Holz der Dachkonstruktion vermittelt Geborgenheit. Die Wände sind weiß getüncht, Messinglampen hängen von der Decke, und hinter dem Altar leuchten in sattem Tintenblau, tiefem Grün und einem Rot wie Mohnblumen die drei Glasfenster der Künstlerin Hilde Ferber. In den Sechziger jahren spielte die Gemeinde mit den Gedanken, die Kirche abzureißen. "Doch zum Glück hat der Denkmalschutz damals schon Nein gesagt. Ich bin sehr froh darüber, auch weil die Kirche mit 230 Plätzen genau die richtige Größe für unsere Gemeinde hat", sagt Dülge.

Im Laufe der Jahre hat die Gemeinde ihre Notkirche schätzen gelernt. Der Bau in Hamburg­Hoheluft ist unter den 44 Notkirchen, die zwischen 1948 und 1951 entstanden, auch etwas Besonderes. Denn die Holzkonstruktion wurde seinerzeit in die Reste der alten Kirche eingepasst. Man kürzte den Turm auf 25 Meter, mauerte Chorbogen und Altarraum wieder hoch, legte Dachpappe auf die Dachlatten. Eine enorme Anstrengung, an der viele Gemeindemitglieder mitwirkten: "Zu einer Zeit, als es weder Axt noch Beil zu kaufen gab, nahm Hoheluft die Arbeit unverdrossen auf", schreibt der damalige Pastor Otto Schumacher in einer Chronik. 1949 konnte die Gemeinde, die sechs Jahre in einer benachbarten Kirche untergekommen war, ihren ersten Gottesdienst in der neuen, alten Kirche feiern.

Rund 5000 Mitglieder hat St. Markus heute. Neben der Kirche steht die Kindertagesstätte, deren Spielplatz sich mit Baumhaus, Sandberg und Schaukel um das Gotteshaus gruppiert. Seit zwei Jahren gibt es sogar wieder einen echten Kirch platz: Beim Bau des Gemeindehauses wurde der Vorplatz, auf dem bislang Autos parkten, zu einem offenen Platz gestaltet. Die Linde in der Mitte bekam um den Stamm ein hölzernes Podest, auf dem Kinder herumspringen oder Fahrradkuriere pausieren. Auf den vielen Bänken sitzen mittags die Angestellten der umliegenden Geschäfte, hier treffen sich Schüler nach Schulschluss und Eltern, die ihren Nachwuchs von der Kita abholen. Immer wieder bleibt ein Spaziergänger an dem Bücherschrank stehen, den die Gemeinde schräg vor die Kirche gestellt hat und der vollbepackt ist mit Büchern zum Ausleihen.

"Wir haben Glück, unser Stadtteil ist beliebt, viele junge Familien ziehen hierher. Deswegen brummt unsere Kinder- und Jugendarbeit", sagt Pastorin Christine Halisch. Die 43­Jährige kam vor knapp vier Jahren mit ihrem Mann und drei Kindern von Kiel nach Hamburg. Ihre dunklen Augen strahlen, wenn sie über ihre Gemeinde und das Viertel spricht. Sie ist offen und zugewandt und nimmt sich Zeit für ihre Gesprächspartner. Das gilt auch außerhalb der Dienstzeiten, wenn sie im Supermarkt um die Ecke einkauft und ein Gemeindemitglied sie anspricht.

Die zierliche Frau, die jedes Jahr im August beim Metal­Konzert in Wacken als Festivalseelsorgerin dabei ist, schätzt die Arbeit "auf der Hoheluft", das breite Angebot für Familien und Senioren und vor allem die Kantorei. "Wir haben drei Kinderchöre und den Chor für Erwachsene, die oft im Gottesdienst mitsingen - ein echter Gewinn", meint sie.

Beim Familiengottesdienst, der dreimal im Jahr stattfindet, ist die Kirche St. Markus rappelvoll. Große und kleine Kinder lauschen, als die Pastorin das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg erzählt. Auf der letzten Bank sitzt Uwe Meyer mit einem Baby, strategisch günstig, damit er mit seinem Kind schnell vor die Tür kann, wenn es schreit. Der Mittfünfziger kommt mindestens einmal im Monat zum Gottesdienst. "Ich liebe diese Kirche und ihre Atmosphäre. Deshalb fühle ich mich in dieser Gemeinde so wohl", sagt er.

Als der Kinderchor zu singen beginnt, tanzen viele Kinder zwischen den Bänken. Es ist ein fröhlicher Gottesdienst - und vermutlich würde Otto Bartning sich freuen, wenn er miterleben könnte, wie seine Kirchen im 21. Jahrhundert genutzt werden. 1948 schrieb der Kirchenarchitekt zur Einweihung der ersten deutschen Notkirche in Pforzheim: "Wir wissen, dass Notkirche nicht notdürftiger Notbehelf, sondern neue und gültige Gestalt aus der Kraft der Not bedeutet."

Katrin Wienefeld