St. Marien Eishausen (Thüringen)
St. Marien Eishausen (Thüringen)

Eishausens Stern strahlt wieder

Doch kein aussichtloses Unterfangen

In der tiefen Provinz zwischen Franken und Thüringen steht ein Gotteshaus von der Größe einer Stadtkirche in einem 450-Seelen-Ort. Vor einem Jahrzehnt startete eine Schar Unverzagter das schier aussichtslose Unternehmen, der alten Kirche wieder Glanz zu verleihen. Im Juni 2018 wurde sie wieder eingeweiht. Dazwischen lag eine Zeit von Kampf und Willen.

Kristina Kühnbaum­Schmidt formt ihre rechte Hand zu einem Pfötchengriff und zeichnet ein riesiges Kreuz in die Luft. Da ist es passiert: Die Regionalbischöfin des Propstsprengels Meiningen­Suhl hat die St. Marien-Kirche zu Eishausen wieder eingeweiht. Um eine spirituelle Zustandsänderung zu erspüren, bedarf es vermutlich eines einschlägig sensiblen Gemüts, doch die Atmosphäre unter den Versammelten ist auch so himmelhochjauchzend. Was hier am 3. Juni 2018 um kurz vor zehn Uhr am Vormittag vollzogen wurde, darauf hat – so darf man es wohl sagen – eine ganze Region ein Jahrzehnt lang unter Zweifeln und Bangen mit den Eishäusern gehofft: Die Kirche ist fertig, sie ist tatsächlich fertig! Die Erbauer, die „Herren von Heßberg“ und die damalige Festgemeinde dürften den Bau am 28. Oktober 1749, als Hofprediger Goller aus Hildburghausen sie einweihte, nicht schöner und strahlender gesehen haben als die Festgemeinde des Jahres 2018. Satte Farben, Glanz und Herrlichkeit, wohin das Auge sieht, ein tag für die Ewigkeit in der Chronik von Eishausen.

Frank Schneider ist ein Mann mit wachen Augen. Beinahe staunend gleiten seine Blicke über die Fassaden der Kirche, die im Licht der Sonne sanft zu glimmen scheinen. „Ich weiß wirklich nicht, was die sich damals dabei gedacht haben, hier so ein Gebäude hinzustellen“, staunt der Architekt noch immer. Tatsächlich könnte die Kirche dem Marktplatz einer Kleinstadt im Ensemble mit Rathaus, Apotheke und Bürgerhäusern alle Ehre machen. Doch ist sie, allem Augenschein zum trotz, eine Dorfkirche und Frank Schneider als leitender Architekt der jahrelangen Sanierung so etwas wie ihr Leibarzt. Er hatte sich fest vorgenommen, aus Anlass der Wiedereinweihung ein kurzes Grußwort zu sprechen, den beteiligten Firmen zu danken, der Denkmalbehörde, den Spendern, dem Förderverein, der Kirchengemeinde: Was man an dieser Stelle eben so sagen kann. Doch dann hat er’s nicht gemacht, denn dass es wirklich vollbracht wurde, hat den nüchternen und ausdauernden Planer am Ende doch überwältigt. Eishausen ist ein Phänomen: im Laufe der Jahre ist eine besonders glückliche Konstellation von Menschen und Bau gewachsen. Die Anteilnahme, die sich am Tag der Einweihung in immer neuen Anläufen in den Grußworten, Statements, den Festreden und Ständchen ausdrückt, zeigt, dass Eishausen über ein normales Kirchensanierungsprojekt weit hinausgeht. Die Hüter der Kirche sind mit dem Charisma gesegnet, den Menschen ans Herz zu wachsen. Sie haben es durch Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit vermocht, ihr Ziel, nämlich Sankt Marien im Dorf wieder strahlen zu lassen, zum Anliegen vieler zu machen.

Rückblende: Eine Kirche, die auf dem Berge liegt, kann sich nicht verstecken – hier stimmt die biblische Analogie einfach. Und in exponierter Lage werden Schäden nicht nur jedermann offensichtlich, sondern der Verfall durch Wind und Wetter auch noch befördert. So wuchs in den 2000er Jahren bei den kirchentreuen Protestanten im Dorfe das Unbehagen beim Anblick ihrer Kirche. Die gemeinde ging mit sich zurate und kam zu der wohl realistischen Einschätzung, dass sie sich alleine mit der Sanierung der Kirche hoffnungslos verheben würde. Ein Förderverein sollte es richten, der sich in enger Abstimmung mit dem Gemeindekirchenrat die tatsächliche Koordinierung der Arbeit kümmern würde. Am 5. Dezember 2007 wurde der „Förderverein Kirche Eishausen e. V.“ gegründet.

Wer bei „Förderverein“ nun an Jahresbeitrag per Bankeinzug mit automatisch zugestellter Spendenquittung, jährliche Mitgliederversammlung und einem kleinen Sommerfest denkt, sieht sich in Eishausen einer vollkommen anderen Substanz gegenüber. Im Laufe der Jahre sind ehrenamtliche Arbeitsstunden im mindestens vierstelligen Bereich zusammengekommen, dazu Sachleistungen wie Wasser, Bier und – tatsächlich – Eierstullen. (gerade hiervon wird noch zu reden sein!) „ich bin ja auch gleich in den Förderverein gegangen“, erinnert sich Diplomarchitekt Frank Schneider, „weil hier alle so tatkräftig mitgezogen haben.“ Es macht eben einen unterschied, ob bloß wortreiche Konzepte entwickelt werden, oder Akteure bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln, Besen und Schaufel zu schwingen und die Hände ins Putzwasser zu tauchen. Der Kreis um Günther Lenhardt und Roland Eyring, den beiden Eishausener Urgesteinen und Taktgebern, macht alles. Sie unterscheiden nicht zwischen dem Formulieren von Spenderbriefen, Baubesprechungen oder Schuttschleppen: Was die Sache voranbringt, das wird gemacht, klaglos und selbstverständlich.

Nun ist es bei einem Projekt dieser Größe auch mit dem besten Willen und dem größten Fleiß alleine nicht getan. Dazu stehen einfach zu viele Köche in der Küche. Das war Frank Schneider aufgrund seiner Erfahrung in Sachen Denkmalsanierung völlig klar. Sorgsam nahm er den Bestand und die Schäden auf und kalkulierte die erforderlichen Maßnahmen. Was als Schätzung herauskam, war – mild gesagt – ernüchternd. Doch ist Aufstecken in der mentalen DNA der Protagonisten nicht vorgesehen. Und so begann er das gewaltige Filetstück in mundgerechte Happen zu tranchieren, die der Denkmalschutzbehörde plausibel und potentiellen Sponsoren verdaulich waren. Auch die Stiftung KiBa ließ sich dank eines überzeugenden Konzepts mit engagierten Partnern und sinnvollen Bauabschnitten gewinnen: Vier Mal erhielt die Kirche seit 2009 Zuwendungen, insgesamt in einer Höhe von 48.000 Euro. Augenzwinkernd verrät der Architekt im nachhinein seine taktische Finesse: „Jetzt sehen Sie sich bitte einmal die Straßenfront der Kirche an.“ tatsächlich leuchtet und strahlt sie in warmem Ockerton, schön gegliedert von Ecklisenen in strahlendem Weiß am Turm und Naturstein am Kirchenschiff. Wirklich großartig! „Glauben Sie ernsthaft, irgendjemand hätte sich noch für die der Straße abgewandte Nordseite interessiert, wenn das hier schon so ausgesehen hätte?“, blickt Frank Schneider fragend und setzt kaum unterdrückt schmunzelnd hinzu: „Daher war ja klar: Zuerst muss die Rückseite fertig werden, damit dann die Motivation umso größer ist, auch die Schokoladenseite wieder in Szene zu setzen.“ Die Rechnung ist aufgegangen. Dabei setzt der Denkmalsanierer auf traditionelle Handwerkstechniken und vertrauensvolle Kontinuität in der Zusammenarbeit mit Handwerkern. „Der Putz muss mit der Kelle von Hand angeworfen werden. Wenn das heute der macht und morgen ein anderer, das sieht man nachher ganz genau.“ Sein Ziel ist es nicht, eine irgendwie geartete Imitation mit Erzeugnissen moderner Bauchemie zu erzeugen. Was hier entstanden ist, geht auf die Bauweise der Erbauungszeit zurück in einer Qualität, die überzeugt. 

Eishausen ist uralt. 837 wurden „die Häuser des Assis“ – Assishus – als Ansiedlung erstmals erwähnt. Graf Assis von Wiltenberg soll ein Enkel Karl des großen gewesen sein. Später stand der Ort unter der Verwaltung des Klosters Fulda. Eine erste, als Filiale zu Coburg gehörende Kirche fand 1075 Eingang in die Annalen. Seit 1317 bestand in Eishausen eine Pfarrstelle, zu der auch die umliegenden Orte zählten. Von 1451–60 wurde eine neue Kirche errichtet. Sie stand schon auf dem prominenten Platz der heutigen Sankt Marien­Kirche, war aber dem heiligen Lorenz gewidmet. Beim Bau dieser Kirche wurde eine Gruft als Grablege für die herrschenden Herren von Heßberg ausgehoben, in der 1739 das letzte Begräbnis stattfand. Sie ist bis heute erhalten. 1528 zog die Reformation in Eishausen ein, seither ist der Ort evangelisch. Dramatisch schlug der 30­jährige Krieg zu: 1618, als der Prager Fenstersturz den Konflikt auslöste, bildeten 397 Menschen eine Wirtschafts- und Dorfgemeinschaft. Am Ende, zur Zeit des Westfälischen Friedens von 1648, notiert eine Chronik, Eishausen sei nunmehr „wüst und öd“. Es standen noch zwei Gehöfte und die „arg mitgenommene Kirche“. Ganze 13 Seelen sollen hier noch gelebt haben. Doch muss das Dorf Verluste und Schäden verhältnismäßig schnell überwunden haben. Die stark beschädigte Sankt Lorenz­Kirche war indes wohl nicht mehr zu retten und wurde 1739/40 abgetragen. Unmittelbar im Zuge der Bautätigkeiten legte der „Erb- und Gerichtsherr zu Eishausen – der hochwohlgeborene Herr Karl Johann zu Harrisburg, hochfürstlicher Sachsen­Hildburghäuser Geheimrat, Regierungs- und Konsistorialrat­Präsident, Landschaftsdirektor und Obrist“ den Grundstein für eine neue Kirche mit Turm. Unter dieser wurde nun an der Ostseite eine neue Begräbnisgruft für die Herren von Heßberg gegraben. In dieser wurde ein Jahr nach der Fertigstellung der Kirche, 1750, als erster besagter Carl Johann von Heßberg beigesetzt. Bis 1798 kamen acht seiner Angehörigen hinzu.

Doch was für einen Bau gab dieses Geschlecht da in Auftrag ... Mächtig streckt sich der Chorturm über sechs Geschosse und wird von einer bauchigen Zwiebel mit harmonischer, offener Laterne geschlossen und mit einer feinen Helmspitze bekrönt, die einen goldenen Turmknopf trägt, der in zwei Kartuschen Dokumente für kommende Generationen verwahrt. Daran schließt sich das über drei Geschosse aufragende Kirchenschiff mit einem mächtigen, rot gedeckten Satteldach an. Der Baukörper wird durch kräftige Ecklisenen und Pilaster aus farbigem Sandstein gegliedert und konturiert. In der zur Straße weisenden Längsfront befinden sich in fünf Feldern je drei rechteckige Fenster für jedes Geschoß, wodurch die Kirche bei Sonnenschein herrlich lichtgetränkt erscheint. Das innere ist von einer zurückgenommenen aber einnehmenden Anmutung. Hoch oben schließt die mit Stuckornamenten verzierte Flachdecke den Raum. Darunter läuft eine zweigeschossige Empore an allen Seiten um. Auf der Turmseite steht auf der oberen Etage die Orgel. Es ist eines der großen Instrumente des Orgelbaumeisters Johann Michael Schmidt (1798–1876) aus Schmiedefeld, das am 24. September 1864 feierlich eingeweiht wurde. Mit 25 Registern und zwei Manualen stellt sie ein bedeutendes Zeugnis romantischen Orgelbaus in der Region dar. Unterhalb der Orgel ist die Kanzel in die erste Emporenebene integriert, sodass der Prospekt – farblich perfekt auf die helle Farbfassung des Innenraumes abgestimmt – von den ebenerdigen Bankreihen wegen des Schalldeckels nur mit Mühe ausgemacht werden kann. Das verleiht der Begleitung des Kirchengesangs einen beinahe sphärischen Charakter. Hinter dem Altar wurde in den 50er Jahren eine Winterkirche eingerichtet. Die Sakristei befindet sich unter dem Kirchturm und enthält ein spätgotisches Kreuzgewölbe. 

Ein siebenstelliger Betrag ist bis dato summa summarum in die Wiederauferstehung der Sankt Marienkirche geflossen. Dieser großartige finanzielle Erfolg hat viele Mütter und Väter, deren Namen am Tage der Wiedereinweihung sorgfältig auf einer Ehrentafel platziert, enthüllt wurden. Ist die Höhe der Gesamtsumme eigentlich gerechtfertigt angesichts der Einwohnerzahl von Eishausen, der ortsansässigen evangelischen Christenmenschen und der Lage der Kirche?

In ihrer Festpredigt fand die Pröpstin eindringliche Worte, mit denen sie die Stunde null nach dem 30­jährigen Krieg auferstehen ließ: Diese Kirche ist ein Statement, sie ist steingewordener Protest gegen Verzagtheit und Kleinmut. Ein Fanal für mutigen, großzügigen Gestaltungswillen. Die gemeinde hat ihre Kirche durch die Zeiten hindurch bewahrt. Das ging nicht immer gut, aber immer ging es irgendwie. In den Zeiten des geteilten Deutschlands lag Eishausen auf Thüringer Seite ganz hart an der grenze zu Bayern – beinahe wie ein vorgeschobener Posten. Selbst unter den schwierigen Bedingungen des Eisernen Vorhangs tat die Dorfgemeinschaft an ihrer Kirche, was möglich war. Die jetzige Wiedereinweihung ist ein beredtes Zeugnis dafür, was Beharrlichkeit zu bewirken vermag. Bestimmt ist sie ein Zeugnis der Selbstvergewisserung der örtlichen Protestanten. Solches tun bleibt nicht unbemerkt: Am 12. Juni 2018 wurde dem Förderverein der „thüringische Denkmalschutzpreis 2018“ in der Kategorie gruppenpreis verliehen. In der Nutzung des Gebäudes ist Luft nach oben: Auf der „Frankenschwelle“ zwischen Südthüringen und Nordbayern ist Eishausen von Coburg und Suhl aus gut zu erreichen und im ehemaligen Grenzland steckt viel Potential als Reservat für Wanderer und Naturfreunde. Man darf dem Eishausener Förderverein, der es geschafft hat, die Kirche wieder zum Strahlen zu bringen, zutrauen, sie mit gleicher Fantasie und Ausdauer als das zu präsentieren, was sie ist: Eine Perle auf der Schwelle zwischen Thüringen und Franken, die einlädt besucht und bestaunt zu werden. 

Zuletzt aber darf noch verraten sein, worin das Zünglein an der Waage, das Quäntchen Mehrwert, das Alleinstellungsmerkmal im Detail bestand, dass den Kreis um Günter Lenhardt letztlich so erfolgreich machte: Es waren tatsächlich die Eierstullen! Von Fipronil haben sie nicht die Spur gehört, von einer Legebatterie nie etwas gewusst – die glücklichen Hühner des Vorsitzenden. Sie laufen einfach herum und kratzen und futtern goldgelben Mais. Ihre Eier in Scheibchen dekorativ auf eine dünn gebutterte Fettbemme gefächert und mit einigen Schnittlauchröllchen verziert, sind Ambrosia für all jene, die hierherkamen, um eine Baustelle zu begutachten, und gastlich wie Freunde aufgenommen wurden. Das ist der unwiderlegbare Beweis: Liebe geht durch den Magen.