Kerstin Menzel und Catharina Hasenclever in der Walloner Kirche zu Magdeburg
Kerstin Menzel und Catharina Hasenclever in der Walloner Kirche zu Magdeburg Anna-Kristina Bauer

Gute Aussichten für unsere Kirchen

Kirchen und ihre Nutzungsmöglichkeiten

Dr. Kerstin Menzel ist Theologin und seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der DFG-Forschungsgruppe „Sakralraumtransformation“ an der Universität Leipzig (www.transara.de). Seit April 2024 bis September 2025 vertritt sie die Professur für Praktische Theologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Schwerpunkt ihrer Forschung zu Sakralräumen sind hybride Nutzungen und Kirchenentwicklung.

Dr. Catharina Hasenclever ist Kunsthistorikerin. Seit 2018 leitet sie das Büro der Stiftung KiBa und ist seit 2019 auch deren Geschäftsführerin. Zuvor war sie Wissenschaftliche Referentin beim Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris und leitete im Anschluss ein Forschungsprojekt der DFG. Bis 2017 verantwortete sie Ausstellungsführungen im Landesmuseum Hannover und im Sprengel Museum.

KiBa Aktuell: Frau Menzel, wir sind in der Wallonerkirche, die die Stiftung KiBa schon zwei Mal gefördert hat und die vielfältig genutzt wird. War die Umgestaltung eine gute Idee?

Kerstin Menzel: Absolut. Kirchen, in denen weitergebaut werden darf, haben gute Chancen, erhalten zu werden. Oft machen neue Bauschichten sie noch interessanter: so wie dieser Glaskubus, in dem das Gemeindezentrum seinen Platz hat. Er schirmt den Kern des Baus ab und wirkt doch transparent in den Kirchraum.

Frau Hasenclever, ist das auch im Sinne der Stiftung KiBa?

Catharina Hasenclever: Unbedingt! Wir wissen längst, dass Kirchennutzungen jenseits des Sonntagsgottesdienstes möglich werden müssen. Das wollen wir fördern. Darum haben wir unsere Richtlinien erweitert, so dass auch der Einbau einer Kaffeeküche oder sanitärer Anlagen bei einer dadurch gewährleisteten erweiterten Nutzung der Kirche bezuschusst werden kann. Der Erhalt von „Dach und Fach“ bleibt der Förderschwerpunkt. Wo berechtigte Hoffnung auf eine gute Nutzung in der Zukunft besteht, kann eine Förderung in Ausnahmefällen auch die Notsicherung einer geschlossenen Kirche bedeuten, damit künftige Generationen sich den Bau wieder zu eigen machen können.

Aber bedeutet so ein „Dornröschenschlaf“ nicht auch immer „Tod auf Raten“?

Menzel: Nicht zwangsläufig. Zum Beispiel die Wallonerkirche. Die war jahrzehntelang wenig genutzt. Der preisgekrönte Einbau brachte das Leben zurück in den Raum.
Hasenclever: Wir erleben immer wieder, wie rot-weißes Baustellenband vor einer plötzlich geschlossenen Kirche die Menschen vor Ort aktiviert. Dann bildet sich eine Gemeinschaft, die zusammen Rettungskonzepte überlegt. Und wirklich oft gelingt das auch.
Menzel: In England gibt es mehrere Stiftungen, die sich um den Erhalt von Kirchen kümmern. Besonders schön ist der Name des Fördervereins: „Friends of friendless churches“, also „Freunde von Kirchengebäuden ohne Freunde“. Eine wunderbare Idee. Und sie funktioniert! Es finden sich dort immer wieder Menschen, die ihr Geld in eine verlassene Kirche stecken, dann bleibt sie erhalten.
Hasenclever: Es gilt überall das Gleiche: Ohne breites bürgerschaftliches Engagement haben die wenigsten Kirchen eine Zukunft.

Magdeburg, wo wir uns heute treffen, gehört zur Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM). Hier gibt es rund 4000 Kirchen. Im vergangenen Jahr gab es etwa 3500 Konfirmanden – auf eine Kirche kommt also nicht einmal ein junger Mensch. Ist da nicht sehr naiv, wer für den Erhalt aller Kirchen kämpft?

Hasenclever: Nicht naiv, hoffnungsvoll! Kirchen sind wichtig für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Deshalb setzen wir bei der Stiftung KiBa auf deren Erhalt. Aber wir sehen auch, dass nicht jede Kirche bewahrt werden kann. Daher geben wir kein Geld für Gebäude, die keine Zukunft haben.
Menzel: In die Kirchen hat sich Geschichte eingeschrieben, oft sind sie die ältesten Gebäude im Ort. Das macht sie für Menschen auch jenseits der Kirche wertvoll.
Hasenclever: Meist im Eigentum und damit in der Verantwortung der örtlichen Kirchengemeinde können Kirchen eine breite Nutzung durch Bürgerinnen und Bürger vertragen und beflügeln. Je mehr Gruppen sich mit ihrer Kirche identifizieren, desto weniger schwer wiegt die Verantwortung für die Eigentümer. Gerade hier in Ostdeutschland gründen sich rund um gefährdete Kirchen oft Fördervereine. Da engagieren sich auch viele Menschen, die nie im Gottesdienst waren.
Menzel: Immobilienwirtschaftler behaupten gern, eine Kirche könne man nicht durch Spenden erhalten. Das ist schon historisch falsch. Und es stimmt auch gegenwärtig nicht. Wir schauen in unseren Forschungen genau hin, wer da was tut, und der Anteil der Menschen, die vor Ort spenden und sich engagieren, der ist erheblich.
Hasenclever: Auch die Stiftung KiBa speist sich ja aus bürgerschaftlichem Engagement. Wir arbeiten vor allem mit Spenden – nicht nur von Kirchenmitgliedern. Unsere zahlreichen Unterstützer kommen aus ganz Deutschland. Es sind Menschen, die Orte der Kultur und der Gemeinschaft, der Verkündigung und der Orientierung erhalten wollen.
Menzel: Ich glaube, dieses private Engagement wird manchmal nicht ausreichend gesehen.
Hasenclever: Wir sind auf allen Ebenen viel weiter, als es öffentlich wahrgenommen wird, und das ist schade! Wir reden anscheinend nicht ausreichend über unsere Erfolgsgeschichten.

Sie sprachen vorhin von der besonderen Geschichte von Kirchen – was unterscheidet sie denn von anderen Gebäuden wie der leerstehenden Schule, dem Postamt oder Rathaus?

Hasenclever: Da müssen wir zurückschauen: Für welchen Zweck wurden Kirchen gebaut? Es ging immer um Gottesdienste von Glaubensgemeinschaften, also um den Glauben. Und: Kirchen sind und waren schon immer öffentlich für alle.
Menzel: In unserem Forschungsprojekt sprechen wir von Sakralräumen. Sakral in der Weise, dass Räume Atmosphären oder Stimmungen und das, was Menschen in Räumen tun und fühlen, mitkonstituieren. Und dieses Sakrale bleibt. Ich nenne gern ein Beispiel: Da zog in eine katholische Kirche ein gemeinnütziger Zirkusverein, also ein Verein, der Kindern ermöglicht, Zirkus zu spielen, Artistik zu lernen und so weiter. Die Kinder wählen sich ihr Thema immer selbst für ihre Woche – und in der Kirche ging es plötzlich um Tod. Das ist spannend, denn erst denkt man vielleicht: Zirkus passt ja nun gar nicht – und dann eröffnet sich unplanbar eine religiöse Dimension. Für mich wird da der Raum zum Akteur.
Hasenclever: Ich glaube, der Weg vom Sakralraum zum „Treffpunkt“ muss gar nicht lang sein. Es macht doch Sinn, dass sich die politische Gemeinde – also diejenigen, die im Schatten des Kirchturms leben – diesen Raum auch zu eigen macht. Und dabei nicht aus dem Auge verliert, dass es ein kirchlicher Raum ist.

Braucht es nicht viel Fantasie, was aus solch einem Raum werden könnte – ohne den sakralen Charakter aufzugeben?

Menzel: Es gibt Kirchenvorstände, bei denen die Haltung herrscht: „Hier muss alles so bleiben, wie es ist.“ Die Kirche und der dort gelebte Glaube sind die letzten Bereiche des Lebens, in denen sich nichts verändern soll. In großen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen werden Menschen irgendwann müde, dass immer alles anders, neu und innovativ sein soll. Andere haben eher eine offene, suchende Ratlosigkeit. Sie wissen, wir müssen etwas ändern, haben aber keine richtige Idee, wie das aussehen könnte.
Hasenclever: (breitet Karten aus) Ich bin begeistert von der Idee der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM), auf Spielkarten ganz niedrigschwellige Ideen für Nutzungsmöglichkeiten in schönen Bildern darzustellen. Das weitet den Ideenraum.
Menzel: Ja, das ist ein super Beispiel: Hier wurde Geld in eine Stelle investiert, die gemeinsam mit den Gemeinden vor Ort nach Ideen sucht. Und das passt zu den Räumen, denn anders, als wir heute vielleicht oft denken, waren Kirchen historisch nie nur auf den Gottesdienst festgelegt. Es war zum Beispiel üblich, dort zu schlafen, um die Spiritualität des Ortes auf Entscheidungen einwirken zu lassen, sozusagen: „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“
Hasenclever: Alle drei Jahre, wenn wir den Preis der Stiftung KiBa ausloben, sehen wir in den Wettbewerbsbeiträgen, was alles möglich ist. Es gibt fantastische Beispiele von Umbauten, Einbauten oder Anbauten mit großartigen Ideen für erweiterte Nutzungen von Kirchen. Da ist auch mit kleinem Budget viel Teilhabe möglich.

Helfen neue Konzepte auch beim finanziellen Unterhalt der Kirchen?

Menzel: In unserem Forschungsprojekt haben wir festgestellt, dass es schwierig ist, wenn eine Kirche sich selbst tragen oder gar Gewinne abwerfen soll. Die Unterhaltungskosten sind hoch, und die Erhaltung eines Baudenkmals hat besondere Anforderungen. Und genau deshalb muss uns als Gesellschaft klar sein: Immer wenn Kirchen keine kommerzielle, sondern eine gemeinschaftliche, sozialraumorientierte oder diakonische Nutzung haben, kostet uns das etwas. Die Frage wird sein, wer das zukünftig jeweils mittragen kann.

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