Reformierte Kirche Visquard (Niedersachsen)
Reformierte Kirche Visquard (Niedersachsen)

Von krummen Ecken, Tiefs und Marschland

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Die Evangelisch-reformierte Kirche Visquard wurde in der Mitte des 13. Jhds. errichtet und vermutlich zwischen 1250 und 1275 fertiggestellt. Visquard selbst ist einer von neunzehn Ortsteilen der Gemeinde Krummhörn im Landkreis Aurich - bekannt für ihre zahlreichen historischen Kirchen und ihre einzigartige Orgellandschaft.

Der Name "Krummhörn" stammt aus dem Niederdeutschen und bedeutet "krumme Ecke", was die halbinselartige Form des Landstrichs an der unteren Emsmündung beschreibt. Die Region ist geprägt von Landwirtschaft und Tourismus. Das gesamte Gemeindegebiet der Krummhörn liegt in der Marsch, einem Küstengebiet mit fruchtbaren Böden. Da die Region jedoch nur unwesentlich über dem Meeresspiegel - zum Teil sogar erheblich darunter -, muss sie durch Deiche vor dem Meer geschützt werden. Das Binnenland selbst muss ebenfalls entwässert werden, um bei anhaltendem Regen nicht unter Wasser zu stehen. Dazu dient ein dichtes Netz aus unzähligen kleinen Gräben und Kanälen, die regional als "Tiefs" bezeichnet werden.

Die abgelagerten Marschen-Sedimente sacken durch ihr Eigengewicht, Zersetzungsprozesse des darunterliegenden Moorbodens und Entwässerungsmaßnahmen ab: Der Grundwasserspiegel ändert sich. Das ist eine echte Gefahr für Bauwerke - und so war die Visquarder Kirche Ende des 18. Jhds. vom Einsturz bedroht. Ursprünglich war der Kirchenraum in Visquard in vier Gewölbejoche unterteilt, nun musste man drei davon abbrechen. Nur das ehemalige Chorjoch im Osten mit einer Christusdarstellung im Schlussstein blieb erhalten. Die drei abgebrochenen steinernen Gewölbejoche wurden damals durch Holztonnendecke mit darüberliegender Holzbalkenlage ersetzt.

Eine der letzten großen baulichen Maßnahmen mit erheblichen Eingriffen in die Bausubstanz fand 1958 statt. Damals wurde das Westgiebeldreieck komplett erneuert, wobei die Außenschale aus alten Backsteinen im Klosterformat und die Innenschale aus Kalksandstein aufgemauert wurden, ebenso wie die beiden Traufbereiche. Das erhaltene Gewölbe erhielt zur Stabilisierung ein Betonkorsett.

Die Kirche hat einen hellen Chorraum mit drei Doppelfenstern. In der Reformationszeit wurde eine Tür in die Ostwand geschlagen. Eine schwarze, trapezförmige Grabplatte, die heute an der Ostwand aufgestellt ist, diente in vorreformatorischer Zeit als Altarplatte. Chorraum und Kirchenschiff sind durch die Balken des ehemaligen Lettners getrennt. Nach der Reformation wurde auf dem Lettner eine Empore mit einer Orgel eingezogen, deren Prospekt und Seitenklappen aus dem Jahr 1660 stammen. Heute sind nur noch die großen vorstehenden Pfeifen (Prästanten) original erhalten.

Außen über dem Westeingang befindet sich eine bemerkenswerte Sandsteinuhr, die 2002 restauriert wurde. Auf dieser Uhr sind die Wappen der Stifter, des ostfriesischen Grafenpaares Edzard II. und Katharina von Wasa, zu sehen. Neben der Kirche steht der Glockenturm mit seinem Treppengiebel, vermutlich um 1300 erbaut und 2004 komplett restauriert. Er beherbergt zwei Glocken: eine Bronzeglocke von 1789 und eine Stahlglocke von 1958.

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Instandsetzung der Visquarder Kirche

Instandsetzung der Visquarder Kirche

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Zuletzt zeigte das Kirchengebäude vor allem außen und an der Dachkonstruktion starke Schäden, vor allem an der Südseite waren zahlreiche Einzelsteine und Steinpartien durch Salze in Mitleidenschaft gezogen. In der Vergangenheit hatte man hier die schadhaften Stellen mit dünnem Muschelkalkputz verschlossen, künstliche Fugen eingeritzt und alles mit Rotschlämmen versehen, um die Reparaturen unauffälliger zu machen. Bei der aktuellen Restaurierung wurden diese alten Reparaturstellen bewusst so weit wie möglich erhalten, und nur sehr stark geschädigte Steine ersetzt. Für den Steinersatz wurden Klosterformatsteine neu gebrannt, die farblich und formal gut passen - aber dennoch als erneuert erkennbar sind. Die Idee dahinter: man soll die Geschichte des Kirchengebäudes ablesen können.

An der Nordseite gab es ähnliche, wenn auch geringere Schäden an den Backsteinen. Defekte Fenster-Sohlbänke wurden entfernt, die Flächen verputzt und mit Bleiblech versehen, auf dem dann die Sandsteinplatten wieder verlegt wurden. Das 1958 erneuerte Sockelmauerwerk an der Nordseite wurde belassen, aber neu in einem Muschelkalk-ähnlichen Kalkzementfugenmörtel verfugt, um es optisch besser in das historische Mauerwerk einzubinden.

Am Ost- und Westgiebel mussten die Abschlüsse teilweise neu aufgemauert und mit Bleiblech abgedeckt werden. Am Westgiebel, der ähnlich stark geschädigt war wie die Südseite, wurden zahlreiche Steine ausgetauscht. Bei der Baumaßnahme 1958 waren dort "Riemchen" aus altem Steinmaterial unfachmännisch verbaut - sie hatten sich mittlerweile gelöst und stellten eine Gefahr dar.

Ein echtes Sorgenkind war die Dachkonstruktion: das Mauerwerk an Nord- und Südseite hatte sich nach außen gedrückt. Nachdem aufwändig der Schutt aus dem Dachboden entfernt war - ein weiteres "Überbleibsel" vom 1958 - zeichnete sich ab, dass einige Deckenbalkenauflager fast vollständig abgefault waren. Der gesamte Dachstuhl wurde zimmermannsmäßig repariert und ergänzt. Schadhafte Dachziegelabschnitte wurden erneuert und die Dachrinnen auf der Südseite komplett ersetzt. Damit sich in Zukunft Mauersegler ansiedeln können, wurden für die Vögel ehemalige Gerüstbalkenlöcher im Mauerwerk offen gelassen.

Möglich geworden ist all das durch die Kooperation und die Unterstützung zahlreicher Partner, Träger und Geldgeber: die Evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Visquard selbst, die Evangelisch-reformierte Landeskirche, die Europäische Union, der Bund ( über das BKM-Sonderprogramm sowie mehrere Stiftungen und zahlreiche private Spender. Mit der Stiftung KiBa haben wir die Instandsetzung der Kirche bereits 2020 mit 15.000 Euro gefördert.

Corona-Pandemie, Lieferschwierigkeiten bei Baumaterialien und überlastete Handwerksbetriebe haben am Ende dazu geführt, dass sich das Projekt länger hingezogen hat. Mitte 2023 wurden die KiBa-Mittel ausgezahlt, Ende 2024 war alles abgewickelt und noch ein paar Monate später lag dann die Dokumentation im Stiftungsbüro vor. Letztlich tritt jedoch der eigentliche Zeitplan in den Hintergrund, denn es ging schließlich darum, die Instandsetzung einer wunderbaren Kirche erfolgreich abzuschließen und ein historisches und spirituelles Erbe für die Zukunft zu sichern. Und das ist gelungen.