Neuer Halt für St. Jacobi
Aufwendige Sanierung des Turms in Gingst
Malerisch gelegen auf der Insel Rügen, nahe der Bucht des Koselower Sees, befindet sich die kleine Gemeinde Gingst. Der bereits 1232 urkundlich als Ghynxt erwähnte Ort war einst ein bedeutender Marktflecken und Zentrum des Handwerks, insbesondere der Damastweberei. Und einer bemerkenswerten sozialen Reform: Bereits 1774 schaffte Propst Johann Gottlieb Picht die Leibeigenschaft für die Hälfte des Ortes ab.
Gotische Wurzeln mit barockem Gewand
Das weithin sichtbare Herzstück des Ortes ist die trutzig wirkende Kirche St. Jacobi. Ihre Geschichte beginnt um 1300, wahrscheinlich zunächst mit dem Bau eins rechteckigen Chores. Das dreischiffige Kirchenschiff folgt um 1400 und in der Mitte des 15. Jhds. erhält die Kirche ihren massiven Kirchturm mit quadratischem Grundriss an der Westseite. St. Jacobi ist ein klassisches Beispiel norddeutscher spätgotischer Backsteinkirchen.
Nach einem Großbrand 1726 wird das Gotteshaus umfassend umgestaltet. Dabei entstehen die Stuckdecken im Mittelschiff und Chor, der Turm erhält die markante geschweifte Haube – deren Kupferblecheindeckung erst jüngst saniert worden sind.
Die Ausstattung ist noch barock geprägt, weist aber bereits klassizistische Details auf. Besonders hervorzuheben sind die sehr reich verzierte hölzerne Kanzel aus dem Jahr 1743 und der Altaraufsatz von 1776. Der ist als Säulenarchitektur mit Giebel gestaltet und wird von den großen Figuren der Spes (lat. für „Hoffnung“) und Fides (lat. für „Glaube“) flankiert. Das Altarblatt zeigt Christi Himmelfahrt. Ein weiteres Prunkstück ist die zweimanualige Orgel. Das Werk mit 22 Registern wurde 1790 von Christian Kindten geschaffen, der Orgelprospekt ist verziert mit Zopfstildekor, Posaunenengeln und Amphoren und stammt von C. N. Freese aus Stralsund.
Risse im Mauerwerk
Der Turmhelm war bereits instandgesetzt, doch nun zeigten sich vor allem im oberen Drittel des Turmschafts erhebliche Schäden. Deutliche Risse waren zu sehen. Wenn solche Risse nach einer früheren Reparatur auftreten, weist das in der Regel auf Bewegungen im Bauwerk hin. Dann muss möglichst schnell etwas passieren.
Auch im Inneren war Handlungsbedarf geboten: Das vor den Wänden errichtete Holztragwerk im Turminneren war durch Fäulnis geschädigt. Vor allem die ins Mauerwerk eingebundenen Balkenköpfe waren betroffen.

Einrichtung der Baustelle

Nistkästen als Ausweichquartier während der Bauarbeiten

Arbeitsgerüste am Turm

Ansicht der Turms von Westen: vor und nach der Sanierung

Ansicht der Turms von Süden: vor und nach der Sanierung

Mauwerkschäden im oberen Turmbereich

Erhebliche Schäden im Bereich an der Turmuhr

Innenansicht der neuen Verankerungen

Innenansicht der neuen Verankerungen
Ein Kraftakt für die Standsicherheit
Die Maßnahmen im Bauabschnitt 2024–2025 waren aber nur ein Teil der Gesamtsanierung der Kirche – die KiBa hat die Jacobigemeinde seit nunmehr 2016 begleitet. Fünf Förderzusagen mit einem Gesamtvolumen von 65.000 Euro waren ein wichtiger Topf im breit aufgestellten Finanzierungsmix.
Im zuletzt abgeschlossenen Bauabschnitt stand die Wiederherstellung der Standsicherheit des Turmschafts im Fokus. Die Sanierung des Mauerwerks war umfangreich: Backsteine mussten in größerem Umfang ausgetauscht und die Verfugung der Außenflächen in weiten Teilen erneuert werden. Mehrere sogenannte Blendöffnungen, die in der Regel nur halbsteindick ausgeführt sind, waren so stark geschädigt, dass vollständig abgetragen und neu aufgemauert werden mussten. Größere Risse, die teilweise die gesamte Mauerwerksdicke durchzogen, wurden gereinigt und mit Edelstahlnadeln gesichert. Anschließend wurden die Risse mit Mörtel verpresst. Um zukünftigen Rissbildungen vorzubeugen, wurden vier neue Zuganker in der Westfassade eingebaut. Die vermorschten Teile im inneren Turmtragwerk und im Glockenstuhl wurden ersetzt.
Auch die Optik wurde nicht vernachlässigt: Das Leibungsmauerwerk – darunter versteht man die seitliche Begrenzung einer Öffnung in einer Wand – am Westportal wurde saniert. Dabei wurden die stark verrosteten historischen Tür- und Fensterbeschläge („Stützkloben“) demontiert und durch neue mit dauerhaftem Korrosionsschutz ersetzt. Die Wandflächen der Turmhalle und des Westportals wurden nach der Sanierung mit Feinputz aus Muschelkalk geschlämmt.
Im Rahmen der Arbeiten wurden außerdem die achtzehn Schallluken im Turm erneuert. Jetzt ist das Geläut wieder optimal zu hören. Zahlreiche neue Fenster mit schmalen Stahlrahmenkonstruktionen und farbloser Verglasung wurden im Turmschaft und im Treppenturm eingebaut.
Artenschutz und Ausblick
Auch an den Artenschutz wurde gedacht: regelmäßig werden Turm und Chor von Vögeln als Nistplatz frequentiert. Vor dem Beginn der Sanierung wurden deshalb Ausweichquartiere geschaffen – und nach Abschluss der Baumaßnahme als Dauerlösung in den Turm umgesetzt.
Im Zuge der Bauarbeiten wurden erhebliche Schäden am Holztragwerk der Südseite oberhalb der Turmhalle festgestellt. Deren Beseitigung war im aktuellen Förderzeitraum nicht mehr möglich und erfordert daher einen weiteren Bauabschnitt zu einem späteren Zeitpunkt.
Dank der umfassenden Anker- und Mauerarbeiten konnte jedoch die Standsicherheit des Turmschaftes wiederhergestellt werden. Die Sicherheit dieser einzigartigen Kirche ist gewährleistet. Man kann also aufatmen in St. Jacobi, einer aktiven und engagierten Gemeinde. Jede Kirche wird gebraucht, denn das Kirchspiel ist groß: es umfasst die Landgemeinden Gingst, Ummanz (außer Insel Ummanz), Kluis, Parchtitz und Dreschvitz mit ca. 2.300 Einwohnern in gut 30 Dörfern und Ortsteilen. Regelmäßig finden Gottesdienste statt, auch die katholische Gemeinde ist jede Woche zu Gast. Seit 2013 gibt es auch eine fruchtbare Gemeindepartnerschaft mit dem Stift Växjö im schwedischen Söraby.