Die Martin­-Luther-­Kirche an der Ahr in Bad Neuenahr - nach dem Hochwasser.
Die Martin­-Luther-­Kirche an der Ahr in Bad Neuenahr - nach dem Hochwasser.

Eine Kirche taucht unter – und wieder auf!

Die Ahr-Flut hat die Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenjahr verwüstet

Die Chorprobe im Gemeindehaus war die letzte Veranstaltung der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr vor dem Hochwasser, das das Ahrtal vom 14. auf den 15. Juli 2021 heimsuchte. Während der Zusammenkunft drangen erste besorgniserregende Nachrichten über Soziale Medien und Chatgruppen zu den Sängerinnen und Sängern. Nach frühzeitiger Beendigung der Probe gingen besorgte Gemeindeglieder noch den kurzen Weg zur unmittelbar am Fluss liegenden Martin-Luther-Kirche. Die Ahr führte, zu diesem Zeitpunkt bereits angeschwollen zum reißenden Strom, schon viel Treibgut mit, was auf die Verwüstungen an den oberen Flussabschnitten hindeutete. Was in der Nacht mit den Gebäuden der Kirchengemeinde geschehen würde, entzog sich aber der Vorstellungskraft der letzten Augenzeugen an dem zu diesem Zeitpunkt am späteren Mittwochabend noch unversehrten Kirchbau.

Totalschaden in wenigen Stunden

Am 15. Juli 2021 war die Kirchengemeinde extrem schwer getroffen. In die Martin-Luther-Kirche drang das Wasser ein, der Pegel stieg über einen Meter hoch. Sakristei, Kellerräume mit WC und Heizung und Materialraum wurden geflutet. Das gesamte Kirchengestühl, ein Konzertflügel, ein Orgelpositiv sowie die Ausstattung mit Büchern und Textilen gingen verloren.

Das Gemeindeamt wurde verwüstet, die gesamte Verwaltungsinfrastruktur inklusive aller Computer, Drucker und dem Server wurde zerstört. Das in Kellerräumen gelegene Archiv ging ebenso unter wie der Kopierraum mit Bibeln und Materialien für Taufen, Trauungen, Beerdigungen und Geburtstage.

Im Gemeindehaus, das vor einigen Jahren für über eine Million Euro umgestaltet worden war, stand das komplette Untergeschoss mit Werkstatt, Jugendräumen, Materiallager, Heizung und Umluftanlage in Wasser und Schlamm. Auch die Kindertagesstätte der Gemeinde, in der sechs Kindergruppen Platz fanden, ging vollständig unter.

Ein emotional besonders herber Verlust war der von „:Kerit“, der gemeindlichen Sozialeinrichtung, einem niederschwelligen Ort für Beratung und Kontakte. Auch dort war die komplette Anlage mit Wohnzimmer, Küche, Versammlungsraum und Büro betroffen. Ein erst im Juni begonnenes Projekt, bei dem Kleider- und Sachspenden in einem Ladenlokal in der Innenstadt zu kleinen Preisen verkauft wurden, versank mit dem gesamten Warenbestand und der neuen Ladeneinrichtung.

Unbeschädigt bleib die kleine Filialkirche im Stadtteil Ahrweiler, die sich zum geistlichen Zentrum und Begegnungsort der Gemeinde entwickelte. Trotz der gravierenden Schäden wurde unmittelbar an allen betroffenen Orten mit Räum- und Wiederherstellungsmaßnahmen begonnen. Dabei zeigte sich, dass die Standfestigkeit Kirche nicht beeinträchtigt war, massive Schäden an der Grundplatte und den Wänden aber eine völlige Entkernung bis zu einer Höhe von etwa zwei Metern unumgänglich machte. Damit war die Idee, 2022 das geplante 150-jährige Jubiläum der Einweihung mit einem großen Fest zu feiern, vom Tisch.

Das Wasser stand in der Martin-Luther-Kirche bis zur Platte des Altars

Das Wasser stand in der Martin-Luther-Kirche bis zur Platte des Altars

Entkernung: Trümmer und Schutt müssen beseitigt werden

Entkernung: Trümmer und Schutt müssen beseitigt werden

Der leere Kirchensaal nach der Flut

Der leere Kirchensaal nach der Flut

Blick in den Altarraum der Martin­-Luther-Kirche - VOR dem Hochwasser

Blick in den Altarraum der Martin­-Luther-Kirche - VOR dem Hochwasser

Blick in den Altarraum der Martin­-Luther-Kirche - NACH dem Hochwasser

Blick in den Altarraum der Martin­-Luther-Kirche - NACH dem Hochwasser

Eine Kirche mit Geschichte und Zukunft

Am 14. August 1872 wurde die Martin-Luther-Kirche im damals nicht mit der Kreisstadt Ahrweiler zusammengelegten Bad Neuenahr eingeweiht. Die Errichtung der Kirche ging auf das Erblühen des an Thermalquellen reichen Kurorts zurück. Die solventen Gäste aus protestantischen Gebieten sollten ihren heimischen Gewohnheiten entsprechend in einer Kirche Gottesdienst feiern können, nicht in umfunktionierten Sälen.

Es entstand ein neugotischer Zentralbau in Form des griechischen Kreuzes mit angehängtem Chor aus regionalem Bruchstein. Der Bau wurde an prominenter Stelle in einer Achse mit einer den Kurbereich erschließenden Brücke angelegt.

Die Kirche überstand die Weltkriege ohne Schäden, wurde aber 1958 gänzlich überformt. Vom ursprünglichen Bau sind der östliche Glockenturm, die (aufgestockte) Wand mit dem Hauptportal mit Fensterrosette sowie zwei Seitenfenster erhalten. Das Kirchenschiff wurde neu errichtet und um ein Seitenschiff mit Empore ergänzt. Stilistisch wurden die neuen Bauteile durch Bruchsteinverblendungen an die alte Kirche angeglichen. Das Holzgewölbe wurde durch eine flache Betondecke ersetzt. An der Stirnseite, hinter dem Altarbereich, zeigt ein Mosaik des Künstlers Eugen Keller aus Höhr-Grenzhausen den Gekreuzigten.

Mit dem Verlust der Inneneinrichtung der Martin-Luther-Kirche durch die Flutkatastrophe ist in der Gemeinde der Wunsch nach einer zweiten durchgreifenden Neufassung entstanden. Die Blütezeit des Kur- und Bäderwesens scheint vorüber, die Anforderungen an den Kirchenbau haben sich gewandelt. Der Koblenzer Architekt Michael Arnold hat Pläne vorgelegt, die die Raumformen vereinfachen und konzentrieren. Zudem hat der Ingenieur Lutz Baumann, Schatzmeister des Fördervereins der Stiftung KiBa und Experte für Kirchenheizungen, ein zeitgemäßes, ökologisch vertretbares Wärmekonzept für das Gebäude geplant.

Die Stiftung Kiba hat die Not der von der Jahrhundertflut betroffenen Gemeinden mit beschädigten Kirchen schnell erkannt und solidarisch Spenden eingeworben. Dies ist vor Ort dankbar wahrgenommen worden. Auch ein Jahr nach den Schrecken der Flut ist klar: Ohne Hilfe und Solidarität wäre dieses Ereignis nicht zu bewältigen.

Diese Reportage ist im Jahresbericht 2021 der Stiftung KiBa erschienen.