St. Laurentius Kirchheim (Thüringen)
St. Laurentius Kirchheim (Thüringen)

Über innere Werte

Die Würdigung einer Herkulesaufgabe

Nomen est omen: Die Kirche von Kirchheim bei Arnstadt ist nicht zu übersehen im Ort. Doch ihre wahre Wirkung enthüllt sie erst, wenn man sie betritt. Heute deutet nichts darauf hin, wie es vor einem Dutzend Jahre noch um das Gebäude stand. „Schuld“ daran ist ein Förderverein, der die Herkulesaufgabe der Sanierung mit heiterer Gelassenheit und preußischem Durchhaltewillen bezwang. Eine Würdigung.

Der Stiftung KiBa muss ja „Kirchheim“ schon vom Wortsinn her grundsympathisch sein. Die Verbindung von Kirche und Heimat, die sich in diesem zusammengesetzten Ortsnamen so glücklich zusammenfügt, ist jeden falls Motivation und Zweck ihrer Arbeit. Diese buchstäblich grundlegende Identifikation mit dem Gotteshaus ist indes kein regional typisches Phänomen, Orte und Örtchen des namens finden sich breit gestreut über Deutschland bis ins benachbarte Ausland über ein dutzend Mal. Wer Kirchheim sagt, muss auch sagen, wohin die Reise denn genau gehen soll. Freunden der KiBa , namentlich Mitgliedern ihres Fördervereins kommt da wahrscheinlich sofort das thüringische Kirchheim im Saale-Ilm-Kreis in den Sinn, denn der dortige Förderverein hat – unterstützt von der Stiftung – im letzten Jahrzehnt eine höchst staunenswerte Renovierung seiner Sankt Laurentiuskirche bewältigt.

Selbst von der Kirche einmal abgesehen, muss sich das 800­Seelen­Dorf nicht verstecken. Eingebettet in eine sanfthügelige Landschaft mit fruchtbaren Böden liegt es inmitten wogender Felder. Rechts von der Wipfra, einem 40 Kilometer langen Flüsschen zur Gera, schmiegt es sich die ansteigenden Hänge hinauf bis zur Kirche, die den oberen Ortsrand markiert. Der Ort gefällt durch einige pittoreske Straßenzüge, schöne Sichtachsen und eindrucksvolle architektonische Monumente vergangener tage. Jedoch – Schicksal nicht weniger von Landflucht betroffener Dörfer, ist außer der Kirche und einer Tankstelle kaum etwas an öffentlicher Infrastruktur geblieben. Dabei hat der Ort durchaus bessere tage gesehen, lag er doch an einer bedeutenden Handelsstraße, die auf Nürnberg zulief. Kirchheim errang durch den Anbau von Pflanzen zur Textilfärbung und verarbeitende Betriebe sowie seine verkehrsgünstige Lage für den Wechsel von Pferden bzw. die Übernachtung der Fuhrleute in „Ausspannen“ einen merklichen Wohlstand. Historisch zählt der Ort zu preußischem gebiet, ein für das Selbstverständnis der Bewohner nicht unbedeutender umstand. Heute ist von betriebsamer Geschäftigkeit nicht mehr viel zu spüren, im Gegenteil, der Ort besticht durch friedliche Ruhe. Ob sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen, sei einmal dahingestellt, dass beide in der umgebenden Natur ihr Auskommen haben, darf aber vorausgesetzt werden. So ist Kirchheim als Wohnort für in Erfurt Beschäftigte mit Familien attraktiv geworden. 

Seit 2016 aber kommt es, wenn auch nicht fortwährend, so doch immer wieder mal zu Unterbrechungen des ruhigen Lebens. Filmteams rücken an, Reporter und Reisebusse mit Touristen. So auch im Juni 2018, als der Förderverein der Stiftung KiBa, der seine Jahresversammlung im nahegelegenen Weimar abhielt, zu einer Visite vorbeischaute. Und das aus gutem Grund: St. Laurentius war zur Kirche des Jahres 2015 gewählt worden, mit 1200 Stimmen bei 800 Einwohnern, was von echter Motivationskunst zeugt. Die Resonanz auf den Ehrentitel war unerwartet groß, Film und Funk, lokale und überregionale Zeitungen berichteten und zogen ein interessiertes Publikum nach. Der Vorstand des Fördervereins jedenfalls freut sich auch nach drei Jahren über das Interesse und ist vom Sachverstand und der Begeisterungsfähigkeit der KiBa­Besucher, die im nahegelegenen neuen Gemeindehaus gastlich aufgenommen wurden höchst erfreut!

„Die Verbindung unseres Dorfes zu seiner Kirche ist schon besonders eng. Und durch die Renovierung noch enger geworden“, findet Frauke Jäger, Ur-Kirchheimerin und Mitglied im Vorstand des Fördervereins. Das wird vollends verständlich, wenn man ins innere tritt. Aber schon von außen betrachtet, steht hier eine ansehnliche Dorfkirche. Schon von weitem ist das aus dem 12. Jahrhundert stammende Bauwerk kaum zu über sehen, vor allem, weil um 1500 der großzügige spätgotische Turm südlich am Chor errichtet wurde. Das Kirchenschiff der ursprünglich romanischen Saalkirche wurde Ende des 17. Jahrhunderts baufällig abgetragen. Der Neubau, der bis 1706 beendet war, trug dann, dem Geschmack der Zeit entsprechend, die Handschrift ländlichen Barocks. Inzwischen aber ist die ehedem angestrebte Einheitlichkeit der Ausstattung einem spannungsvoll­belebenden Stilmix gewichen. Eine Rarität, die aus dieser Zeit geblieben ist – geradezu ein Alleinstellungsmerkmal – ist die Ausmalung der Brüstungsfelder der umlaufenden zweigeschossigen (!) Emporen. Sie zeigen Szenen aus dem Alten und neuen Testament, jeweils mit vereinfachten biblischen Sprüchen versehen. „Wenn mir als Kind oder Jugendlicher bei der Predigt mal langweilig wurde, was manchmal passiert ist, dann habe ich mir die Bilder angesehen und versucht die Schrift zu entziffern“, bekennt Vorstand Wolfgang Gräser, Rentner und im Ort aufgewachsen, „Heute kommt das natürlich nicht mehr vor“, ergänzt er trocken und provoziert heiteres Gelächter seiner Vorstandskollegen. Hier stimmt die Chemie. 

Die Decken von Langhaus und Chor wurden Ende des 19. Jahrhunderts von dem damals hochgeschätzten Maler, Graphiker und Illustrator Ernst Liebermann, der nicht mit dem älteren deutsch­jüdischen Impressionisten Max Liebermann verwechselt werden sollte, gestaltet. Er überzog die Tonnengewölbe mit einem mutig intensiven, monochromen tiefblau, möglicherweise als Reminiszenz an den regionalen Anbau von Färberwaid, pflanzlicher Lieferant des als „Erfurter Blau“ bekannt gewordenen Farbstoffs. Darauf sind großformatige biblische Szenen und Figuren arrangiert. Die Ausführung des im historistischen Stil angelegten Figurenprogramms wirkt etwas roh, wie ein fortgeschrittenes Entwurfsstadium. Lapidar gesprochen ist die Decke ein echter Hingucker, verleitet immer wieder zur Lockerung der Nackenmuskulatur durchs Hinauf sehen. „Einmal hatten wir einen Pfarrer, den hat die Decke so gestört, dass er sie vollständig mit weißem Papier abkleben lassen wollte“, empört sich der als Kirchenhüter fungierende Wolfgang Schaal noch heute. Doch die Zeiten solch spätreformatorischer Versuche des Bildersturms sind gottlob vorbei. In einem Gottesdienst lieh der Rentner einer der Deckenfiguren in einer Dialogpredigt einmal seine Stimme. Auch so kann die Auseinandersetzung mit Kirchenkunst aussehen! Dann nähert sich der Mann, der um eine Anekdote nie verlegen ist, fast ehrfürchtig der kunstvoll gestalteten taufe von 1685 im Chorraum. Sie ist ein wirkliches Unikat.

2006 war sie ein vielbeachtetes Exponat der Ausstellung „tausend Jahre taufen in Mitteldeutschland“ im Dom zu Magdeburg. Aus Holz in oktogonaler Form gefertigt, zeigt sie auf dem Deckel die Taufszene am Jordan. Wolfgang Schaal, ist dem wertvollen Stück, an dem er selbst die taufe empfing, damals hinterhergereist und hat es in der fremden Umgebung des Doms bestaunt. Beim Erinnerungsfoto trat ein älterer Herr an ihn heran mit den Worten: „Da haben Sie sich aber ein besonders schönes Stück als Hintergrund gesucht!“ „Das war der von uns allen verehrte Altbischof Dr. Werner Krusche. In dem Moment hatte ich Gänsehaut!“, erinnert sich der Kichheimer, dessen Lieblingsstück längst wieder zu Hause steht, noch heute lebhaft. Es sind diese Geschichten, die begreiflich machen, woher die Motivation und Energie der Akteure bei der Erfolgsgeschichte dieser Sanierung rührt. Die Initialzündung zur Vereinsgründung klingt freilich wie der Anfang eines klerikalen Witzes: treffen sich der Pfarrer und der Bürgermeister an der Kirche … tatsächlich war die Kirche nicht erst seit dem Millennium in einem beklagenswerten Zustand, der nicht nur die beiden Honoratioren sorgte: Die Bauhülle hätte ihre Aufgabe, das innere zu schützen, in absehbarer Zeit wohl verloren. Der schützende Putz hatte sich mit den Jahren buchstäblich in nichts aufgelöst, dass nackte Mauerwerk sog sich an vielen Stellen mit Wasser voll wie ein Schwamm. In der Folge durchfurchten Risse die Mauern.

Frauke Jäger deutet auf eine Stelle im Chor: „Hier war ein Riss, der war so tief, da hätte man sich die Hand durch reichen können. Und so wurde 2006 der „Förderverein St. Laurentius Kirche e. V.“ gegründet. Der Vorsitzende Mathias Jedicke, zugezogen, aber hochidentifiziert, erinnert sich: „Am Anfang waren wir 40 Personen. Das war eine ganz ordentliche Zahl, mit der wir so nicht gerechnet hätten. Kirchenmitglieder und Dorfbewohner, die mit der Kirche nicht viel anfangen können. Von Anfang an wollte der Verein ein Bindeglied zwischen Gemeindegliedern und Kirchenfernen sein. „Wobei“, fügt er schmunzelnd hinzu, „durch die Satzung eine Mehrheit von Evangelischen im Vorstand sichergestellt ist.“ Nun sind Neulust und Anfangszauber ja immer und überall attraktiver als die Mühen der Ebene, jedoch: „natürlich gab es auch Wechsel und Austritte mit den Jahren, doch wir haben die Zahl unserer Mitglieder bis heute konstant halten können“, ist Kassiererin Frauke Jäger stolz. 

Nach der Gründung ging es dann Schlag auf Schlag: im Mai 2007 stand die Finanzierung der vordringlichen Westgiebelsanierung an, 2008 wurden die Fassaden am Chor mit einer Notsicherung versehen. Zugleich mussten die Emporen vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Eine freudige Überraschung des Jahres 2009 war der Besuch des Ehepaares Mangelsdorff, den KiBa­Regionalbeauftragten für das Land Thüringen, die einen Scheck über 10.000 Euro mitgebracht hatten. „Vorher mussten wir allerdings einen großen Schreckmoment verdauen, als im Fußboden im Bereich der Emporen unversehens ein großflächiger Schwammbefall entdeckt wurde“, erinnert sich Wolfgang Schaal. Ende 2010 kann dann von einer Wende in Richtung wirklicher, grundlegender Sanierung gesprochen werden: Zug um Zug werden in mehreren Bauabschnitten Schwammsanierung, Trockenlegung, Drainage, Fußboden und Dachsanierung durchgeführt. Die solide und angemessen repräsentative Außenhaut für die Schätze im inneren schlägt mit rund 1,3 Millionen Euro zu Buche. Die Stiftung KiBa beteiligte sich von 2009–16 mit insgesamt 114.000 Euro an den Maßnahmen. 

Die Unterstützung fiel auf fruchtbaren Boden: Oft haben die Vereinsmitglieder selbst Hand angelegt, wenn es darum ging, die Restaurierung voranzutreiben und Kosten zu senken: „Für den neuen Fußboden haben wir die Kirche innen selbst mit der Schaufel knietief ausgegraben“, erinnert sich Wolfgang Gräser. Daneben zündete der Förderverein ein Feuerwerk an Veranstaltungen: Benefizkonzerte natürlich mit Chören aus der Region und einer Bigband. Autorenlesungen. Auch Osterfeuer, Weihnachtsund Flohmärkte, Kinderund Seniorennachmittage mit Kaffee und Kuchen wurden im Ort organisiert. Eine Broschüre über die Emporenmalerei der Kirche entstand und wurde verkauft – alle Einnahmen kamen der Sanierung der Kirche zugute. Als nebenfolge der hehren Geldeinwerbungsabsicht bereicherte der Verein Brauchtum und Zusammengehörigkeitsgefühl im Dorf und wurde neben der Freiwilligen Feuerwehr zum träger des öffentlichen Lebens. Als der Vorstand erwog, den Verein nach Abschluss der Arbeiten an der Kirche aufzulösen, da er ja seine Aufgabe erfüllt hatte, da hagelte es Protest. „ihr könnt doch jetzt nicht aufhören, wer soll denn dann hier was auf die Beine stellen?“, schimpfte der Bürgermeister. 

Mathias Jedicke und der Verein bleiben vereint, treten aber kürzer. „Die Ziele, die wir uns jetzt stecken, sind kleiner“, verrät Frauke Jäger, „aber unsere Freude an der Sache nicht!“ Am Kirchenschiff schwebt in einer Höhe, die vielleicht noch von Basketballspielern bewältigt werden könnte, die Außentüre zu den Emporen. Die Natursteintreppe war marode und wich im Zuge der Sanierung. „Da soll es irgendwann schon wieder reingehen,“ bekräftigt Wolfgang Schaal. Außerdem gilt es, das innere weiter wissenschaftlich zu erforschen. Auch das kostet. Nur bei einer Sache winkt der Vorstand lächelnd ab: Die Orgelsanierung steht nicht auf der Agenda. „Wir wollen der kommenden Generation auch noch was übrig lassen“, befindet Frauke Jäger. So scheint in Kirchheim das letzte Kapitel noch lange nicht geschrieben.

aus dem Jahresbericht 2017 der Stiftung KiBa