Der Mann vom Turm
Horst Huhn: So weit oben und doch so nah dran an den Menschen
Horst Huhn hält eine einmalige Tradition aufrecht: Er ist einer der beiden Türmer der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis, volkstümlich Michel genannt. Werktags um 10 und 21 Uhr, sonntags um 12 Uhr mittags spielen sie mit der Trompete einen Choral in alle vier Himmelsrichtungen. Ein Gespräch in luftiger Höhe.
Horst Huhn hat sich angewöhnt, das Drehkreuz beim Seiteneingang des Michels nicht zu entriegeln, sondern behände hinüberzuklettern. Der schlanke 67-Jährige, gekleidet in eine warme Jacke und Jeans, kommt meist eine Viertelstunde vor Dienstbeginn, und bevor er die Treppen zum Fahrstuhl hinaufläuft, wird er zuweilen angesprochen. „Sind Sie der Trompeter, der immer so wunderbar vom Turm spielt?“, fragt ihn an diesem Tag eine junge Kirchenbesucherin. Der Musiker nickt und lächelt. Nichts liegt ihm ferner, als Aufheben um seine Person zu machen.
Sein Job ist einzigartig: Nur am Michel gibt es noch jeden Tag Turmchoräle zu hören. Huhn teilt sich den Dienst mit dem Musiker Josef Thöne. Sie spielen bei Regen, Hitze oder Eiseskälte, welche die Ventile der Trompete auch mal zufrieren lässt. Das sei ihm tatsächlich einmal passiert, erzählt der Türmer. Seine Aufgabe bedeutet ihm sehr viel: „Von dem Amt, wenn man es einmal hat, kann man sich nicht mehr lösen“, sagt er.
Eingebettet in die Struktur der Turmbläser war er schon als Zwei jähriger. Damals war seine Mutter mit ihren vier Kindern aus Eisenach nach Hamburg geflohen, sie bekamen eine Gemeindewohnung gegenüber der Kirche. Als Junge durfte Horst Huhn den alten Türmer begleiten, später studierte er Trompete. Von da an bat ihn der Alte ab und zu auszuhelfen. Und was lag näher für die Gemeinde, als sie vor 31 Jahren einen Nachfolger suchte, als Huhn zu fragen?
„Diese Tradition, das Archaische, beeindruckt mich immer noch“, sagt Huhn. Wenn er über die Türmerei spricht, lächelt er oft verschmitzt. In einem Orchester angestellt zu sein, das konnte er sich nie vorstellen. Er war gefragt als Barocktrompeter, immer in kleinen Gruppen unterwegs. Er liebt die Musik von Bach und Händel, fühlt sich aber auch den Komponisten Hans Werner Henze und Hanns Eisler nah, bei den Texten ist es Bertolt Brecht. Es gehört zu Huhns Selbstverständnis als Musiker, seinem Publikum nicht auf Abstand zu begegnen, auch nicht bei der Türmerei: „Man ist als Trompeter eigentlich weit weg da oben, aber doch so nah dran an den Menschen.“ Eine Begegnung mit Obdach losen, die beim Michel übernachten, werde er nicht vergessen: „Als sie erfuhren, dass ich die Choräle spiele, haben die sich so sehr bedankt.“
Seinen beiden Kindern hat Huhn auch das Trompetespielen beigebracht. Seine Frau – sie ist Musiklehrerin – hat es immer unterstützt, wenn ihr Mann abends zum Turm fahren musste. Die Choräle ausfallen zu lassen, das kam niemandem je in den Sinn. Sogar als Huhn vor ein paar Jahren eine Krebserkrankung hatte, ertönten zuverlässig die Choräle, denn damals vertrat ihn seine Tochter. Vielleicht bleibt das Türmern sogar in der Familie: „Meine kleine Enkelin ist begeistert, wenn ich sie mitnehme.“
Die Turmuhr schlägt zehn Mal. Huhn entriegelt das Ostfenster, hält die Trompete in den Himmel, und weiche, wehmütige Töne eines alten Chorals erklingen über der Stadt.
Von Katrin Wienefeld
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