Thomas Rheindorf
Thomas Rheindorf Katrin Wienefeld

Mit Eloquenz und Empathie

Thomas Rheindorf: Die Leute brauchen die Kirche als Kraftort

Thomas Rheindorf ist Pfarrer in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Der frühere KiBa-Autor hat die Flutkatastrophe in seiner Stadt hautnah miterlebt.

Während der Flutkatastrophe im Juli 2021 ging die Heimat von Pfarrer Thomas Rheindorf im Wasser unter: der Kurort Bad Neuenahr-Ahrweiler im Ahrtal. Sein Haus wurde verwüstet, unter den Todesopfern waren viele seiner Bekannten. Aus dem KiBa-Autor wurde ein Chronist des Alltags nach der Katastrophe
Bevor Thomas Rheindorf die Martin-Luther-Kirche betritt, verharrt er vor dem Eingang. Auf der obersten Treppenstufe stehen seit zwei Jahren Kerzen und ein Bild mit Herzen, ein Mini-Altar. „Ich mag es nicht wegnehmen. Irgendwer zündet immer noch die Lichter an“, sagt Rheindorf und in diesem Moment wirkt der groß gewachsene Mann hilflos. Doch rasch fängt er sich – und da ist er wieder: der eloquente Pfarrer, der pointiert und humorvoll Dinge beschreibt. Er wischt über braune Streifen an der Kirchtür. „Sehen Sie, das ist Originalschlamm“, witzelt er.

Rheindorfs Heimat ist in der Flutnacht eine andere geworden und auch er selbst ist nicht mehr so, wie er war. Weiser sei er vielleicht, einer, der mehr mitfühlen könne, zum Beispiel mit der Situation von Geflüchteten, aber auch erschöpfter, sagt der 56-Jährige. Er kennt Bad Neuenahr-Ahrweiler von Kindesbeinen an. Dort ist er aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat auf einem Marktfest seine Frau kennengelernt. Als Gymnasiast grübelte er über die Frage, was der Mensch sei, die Antwort suchte er im Theologiestudium. Während des Vikariats kam er in Kontakt mit der Stiftung KiBa, die damals gegründet wurde und für die er bis 2002 als Referent arbeitete. Das Schreiben ist seine Leidenschaft, für „KiBa Aktuell“ verfasste er rund 80 Porträts. „Wenn ich in den Flow komme, fließt es aus der Feder.“ Seine zwei Söhne sind längst aus dem Haus, die beiden Töchter standen kurz vor dem Abitur beziehungsweise in Ausbildung, als das Hochwasser kam. Sie mussten binnen Wochen ihren Alltag neu organisieren.

Entwurzelung, sich auflösende Strukturen, Depressionen, Wut wegen des schleppenden Wiederaufbaus: mit diesen Themen hat Thomas Rheindorf als Pfarrer und als Betroffener zu tun. Jüngst musste er wieder eine Trauerrede halten für einen Ahrweiler, der – da ist sich Rheindorf sicher – am gebrochenen Herzen wegen der Flut gestorben sei. Im ersten Jahr nach der Katastrophe schrieb der Theologe seinen „Hochwasser-Blog“ bei chrismon, eine Chronik, nüchtern, bissig und oft mitfühlend. Doch jetzt braucht er eine Pause. „Ich kann mich kaum auf anderes als die aktuelle Situation um mich herum einlassen“, sagt er.

Erst in diesem Frühsommer konnte er mit seiner Frau zurück in sein saniertes Haus ziehen. Für sein Hobby bleibt dennoch wenig Zeit: „Ich mag Heimwerken. Klingt wahnsinnig spießig, aber es ist das Dingliche, das mir Freude macht.“ Seine Energie benötigt er jetzt vor allem für die zerstörte Kirche. Drinnen ist roher Stein zu sehen, das Wasser hat die Bodenplatten angehoben. Rheindorf konnte den Architekten Michael Arnold, den er einst für „KiBa Aktuell“ porträtierte, als Helfer gewinnen. Positives passiert, das Denkmalschutzamt genehmigte zum Beispiel Solarpaneele auf dem Dach, doch die Kostenzusage hängt noch in der Bürokratie der Landeskirche. Vielleicht müsse er wieder laut werden, damit die Kirche 2024 öffnen kann, überlegt der Pfarrer. „Die Leute brauchen einen Kraftort.“

Von Katrin Wienefeld

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